top of page

10.08.2020

Trockenheit, neue Schädlinge, Krankheiten: Kann die Pflanzenzüchtung dem Klimawandel folgen?

Airfarm_logo_official_icon_only.png

TRANSGEN - FORUM BIO- UND GENTECHNOLOGIE E.V.

Themen

Allgemein Pflanzenschutz Ernte Politik Naturschutz

partner4_edited.png

Mit dem Klimawandel wird es in Mitteleuropa nicht nur trockener und heißer. Auch viele wärmeliebende Schädlinge und Krankheitserreger wandern weiter nach Norden – in Regionen, in denen sie bislang unbekannt waren. Die Landwirtschaft muss sich darauf einstellen - und auch die Pflanzenzüchter. Doch um neue Sorten mit angepassten Resistenzeigenschaften auf den Markt zu bringen, kann es viele Jahre dauern - zu langsam, um dem Tempo des Klimawandels folgen zu können. Die neuen Genome Editing-Verfahren könnten Züchtung beschleunigen und präziser machen.

2018 war in Deutschland das heißeste Jahr seit Beginn der Klimaaufzeichnungen, 2019 folgte knapp dahinter. Für die Landwirtschaft bedeuten solche Hitzejahre vor allem Ertragseinbußen: Wenn es wie 2018 zu heiß und zu trocken ist, muss das Getreide viel zu früh geerntet werden. Die Notreife hatte bereits eingesetzt, eine natürliche Schutzreaktion vieler Pflanzen: Die Körner werden vorzeitig reif, obwohl sie noch klein und längst nicht ausgewachsen sind. Auch die Kartoffelernte fiel in vielen Regionen kümmerlich aus.

Es waren wohl nicht die letzten Dürrejahre: Bis 2050, so die Prognosen, werden die Durchschnittstemperaturen um ein bis 1,3 Grad Celsius steigen, bis 2100 je nach Szenario um weitere 1,2 bis 3,7 Grad.

Aber es sind nicht allein die direkten Folgen steigender Temperaturen - Hitze, Trockenperioden, abnehmende Bodenfeuchte -, die der Landwirtschaft zu schaffen machen. Mit dem Klimawandel verändert sich auch das Auftreten von Schädlingen und Pflanzenkrankheiten.

Seit 1960 sind wärmeliebende Insektenschädlinge weltweit jedes Jahr um 2,7 Kilometer nach Norden gewandert. Bei einer Steigerung der Durchschnittstemperaturen um drei bis sechs Grad Celsius erwartet Prof. Frank Ordon, Präsident des Julius-Kühn-Instituts, eine Nordwanderung bis zu tausend Kilometer. Nicht nur das: Mit der Wärme nehmen auch ihre biologischen Aktivitäten zu. Sie sind länger im Jahr unterwegs, vermehren sich stärker oder bringen in einer Vegetationsperiode mehrere Generationen hervor. Es können sich neue Rassen oder Genotypen etablieren. Wenn als Folge davon das ökologische Gleichgewicht kippt, können Schädlinge plötzlich in Massen auftreten. Die aktuelle Borkenkäferplage in den Wäldern ist vielleicht ein erster Vorgeschmack.

Zikaden und Blattläuse (Foto) sind als blattsaugende Insekten Überträger zahlreicher Pflanzenkrankheiten. Sie sind wärmeliebend und wandern mit steigenden Temperaturen nach Norden. Zudem werden sie aktiver und können sich stärker vermehren. Für die Landwirtschaft wird das zum Problem.Fotos: Razvan Coenel Constantin

Auch bei Pflanzenkrankheiten, die von Bakterien, Pilzen oder Viren ausgelöst werden, zeichnet sich eine Nordwanderung ab. Viele dieser Erreger werden künftig auch dort auftreten, wo sie bisher unbekannt waren. Der Befallsdruck kann so zunehmen, dass bestimmte Pflanzenkrankheiten mit einfachen Mitteln nicht mehr zu kontrollieren sind. Einige werden von blattsaugenden Läusen oder Zikaden übertragen, die künftig vermutlich auch dort vorkommen, wo es ihnen bisher zu kalt war. Zudem können bestimmte Schädlinge kaum noch bekämpft werden, da keine wirksamen Pflanzenschutzmittel zugelassen sind.

Bis zu 1000 km weiter nördlich. Der Barley Yellow Dwarf Virus (BYDV) gehört zu den weitverbreitetsten Pflanzenviren. Er wird von Blattläusen übertragen und befällt alle Getreidearten (hier: Weizen). Die Blätter werden braun, die Fotosynthese setzt aus und der Ertrag bricht ein.Foto: Keith Weller /USDA

Jeder Temperaturanstieg um ein Grad führt bei den wichtigsten Kulturpflanzen Weizen, Mais, Reis zu weiteren Ertragsverlusten von zehn bis 25 Prozent, so das amerikanische Wissenschaftler-Netzwerk Food Tank.

Mit dem Klimawandel verändern sich auch in Mitteleuropa die Bedingungen für die Landwirtschaft – in einem Tempo, das rasche Anpassungen erfordert. Das betrifft viele Bereiche – Anbaupraxis und Bewässerungstechnik, Umgang mit Ressourcen, Digitalisierung -, doch der Züchtung fällt eine Schlüsselrolle zu. Wenn geeignete Gene im Genpool einer Pflanzenart vorhanden sind, können Sorten mit verbesserter Widerstandskraft – oder sogar Resistenzen – gezüchtet werden. Doch der klassische Weg - Kreuzen, Auswählen, immer wieder Rückkreuzen - braucht viel Zeit: Je nach Kulturart zehn bis dreißig Jahre – womöglich zu lang, um rechtzeitig auf das klimabedingte Auftreten von neuen Schädlingen oder Krankheiten reagieren zu können. Bei einigen Pilz- und Virenkrankheiten ist es ohnehin bisher nicht gelungen, mit herkömmlichen Verfahren resistente Sorte zu züchten.

Gerade weil das Tempo des Klimawandels den Züchtern so wenig Zeit lässt, ihre Sorten anzupassen, kommen die neuen molekularbiologischen Genome Editing-Verfahren – insbesondere CRISPR/Cas – ins Spiel: Sie wirken schneller und zielgerichteter. „CRISPR/Cas ist nur ein Werkzeug in der Pflanzenzüchtung, aber es wäre eines gewesen, das die Züchtung erheblich beschleunigt hätte“, so Frank Ordon in Top Agrar anlässlich einer großen Tagung über Klimawandel und Landwirtschaft (März 2019). Die Entwicklungszeiträume seien viel kürzer, so dass man schneller und effizienter auf die neuen Herausforderungen reagieren könne.

Mit Genome Editing ist es erstmals möglich geworden, einzelne Mutationen punktgenau herbeizuführen, ohne das übrige, aus Milliarden von Basen bestehende Erbgut zu verändern. Damit können etwa in einer etablierten Kultursorte gezielt eine weitere Eigenschaft - etwa eine Resistenz - „hinzueditiert“ werden, ohne viele der erwünschten Merkmale der Kultursorte zu verlieren wie es bei der Kreuzungszüchtung unvermeidlich ist. So ist es chinesischen Wissenschaftler gelungen, in einer Kulturweizensorte direkt eine Resistenz gegen Mehltau zu erzeugen – obwohl Weizen drei Chromosomensätze besitzt und die klassischer Züchtung deswegen besonders aufwändig und langwierig ist.

Sind die molekularen Interaktionen zwischen Pflanzen und ihren „Feinden“ wissenschaftlich aufgeklärt und der jeweilige genetische Hintergrund bekannt, ist es mit den neuen Verfahren möglich geworden, die jeweilige Schnittstelle gezielt zu modifizieren - zugunsten der Pflanze und zulasten der Erreger. Oft reicht es aus, mit Hilfe von Genome Editing einzelne DNA-Bausteine im Erbgut der Pflanze „umzuschreiben“ oder bestimmte Gene „abzuschalten“, um ihren Widersachern den Zugang zu den Pflanzenzellen zu versperren. In anderen Fällen können die Nutzpflanzen dazu gebracht werden, die Vermehrung eingedrungener Viren zu unterbinden.

Mit Genome Editing können die Züchter im Wettlauf mit den Erregern wieder Zeit gewinnen. Bei mehreren Pflanzenarten – etwa Weizen, Gerste, Mais, Reis, Kartoffeln, Orangen, Gurken, Paprika, Tomate, Weinrebe, Kakao – zeigen wissenschaftliche Publikationen, dass es damit grundsätzlich möglich ist, gezielt Resistenzen gegen Pflanzenkrankheiten zu entwickeln. Die meisten Projekte stammen aus China und den USA, einige wenige werden auch in Deutschland gefördert.

Doch in der EU sind die gesetzlichen Hürden hoch, Genome Editing-Verfahren anzuwenden oder damit entwickelte Sorten auf den Markt zu bringen. Solche Pflanzen fallen nicht nur unter die strengen Auflagen der Gentechnik-Gesetze, sie haben auch mit dem weit verbreiteten Negativ-Image der Gentechnik zu kämpfen.

Doch: Kann es sich eine Gesellschaft angesichts des Klimawandels leisten, auf das besondere Potenzial der neuen Verfahren zu verzichten? Nein, meint der Weltklimarat (IPCC) und verweist in seinem Sonderbericht „Klimawandel und Landsysteme“ ausdrücklich auf die Bedeutung biotechnologischer Verfahren, etwa der Gen-Schere CRISPR-Cas (Gen-Schere). Damit sei es möglich, Pflanzen zu entwickeln, die besser mit Hitze- und Trockenstress sowie mit Schädlings- und Krankheitsbefall zurechtkommen.

Grafik: DWD (Deutscher Wetterdienst)

bottom of page