19.10.2020
Interview mit Ann-Christin Kahler zum Thema Digitalisierung in der Landwirtschaft
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Ann-Christin (Anni) ist gelernte und leidenschaftliche Landwirtin, Digital-Spezialistin im Landtechnikhandel und Agrar-Influencerin. Auf ihrem Instagram Profil bietet sie, unter dem Namen annii610, täglich knapp 45.000 LandwirtInnen und Landwirtschafts-Begeisterten Einblicke in ihren Beruf und die Tätigkeiten auf dem Feld.
Was sind die größten Herausforderungen bei Deiner Tätigkeit als Digital-Spezialistin?
Man denkt, dass die Digitalisierung mittlerweile schon überall vertreten ist, es gibt aber zum Teil Höfe, auf denen dies noch gar nicht der Fall ist. Vor allem bei älteren Kunden kommt es öfters zu Schwierigkeiten, ihnen die Digitalisierung und die damit einhergehenden Prozesse nahezubringen. Bei einem Generationenwechsel fällt dies meistens leichter, jedoch gibt es auch Betriebe, die mit ihren Maschinen und der Technik noch sehr alt eingestellt sind. Aber generell funktioniert es bei den meisten Kunden ganz gut.
Eine weitere Herausforderung ist auch, als Frau in einem Männer-dominierten Beruf, den Männern zu erklären, was sie zu tun haben. Manche haben damit kein Problem, andere aber schon...
Wie beurteilst Du den aktuellen Stand der Digitalisierung in der Landwirtschaft?
Es ist wirklich sehr durchwachsen…es gibt bereits Betriebe, die in ihren Prozessabläufen komplett digitalisiert sind, mit eigener RTK-Station, Kamera-gesteuerter Hackmaschine und Bedienung der Prozesse auf dem Tablet oder Smartphone. Andere wiederum besitzen nicht mal ein Smartphone und schreiben noch alles per Hand. Dementsprechend ist es echt buntgemischt und reicht von "gar Nichts" oder "ersten Schritten in die Digitalisierung" bis hin zu "High-Tech", wo selbst ich teilweise meine Probleme habe, um mitzukommen. Aber generell ist der Stand schon ziemlich hoch, besonders was die Maschinen auf dem Feld betrifft. Da sitzen wir eigentlich nur noch auf dem Sitz, um den Kontaktschalter zu betätigen und zu kontrollieren und die Maschinen machen alles von allein (lacht).
Worin siehst Du die größten Chancen in der Digitalisierung?
Die Digitalisierung erleichtert uns die Arbeit enorm. Also sowohl was die Maschinen angeht, wie eben gesagt, als auch beispielsweise in der Dokumentation, in der Bereitstellung von Hilfsmitteln und in der Berechnung von Düngemaßnahmen. Der erste Meilenstein war ja bereits mit Lenksystem zu fahren, weil den ganzen Tag eine gerade Linie zu fahren natürlich enorm anstrengend ist. Auch der Mähdrescher, den ich dieses Jahr gefahren bin, hat sich alle zwei bis drei Minuten komplett neu eingestellt und hat Tests durchgeführt, was im Normalfall ein viel zu großer Aufwand für den Landwirt ist.
Welche Rolle spielen dabei Kommunikation und Informationsaustausch?
Natürlich kommunizieren die Landwirte untereinander und sagen, was ihnen gefällt und was nicht. Aber auch die Maschinen kommunizieren untereinander, was extrem hilfreich ist, da es kaum einen einheitlichen Maschinenpark gibt. Gerade dabei ist es wichtig, dass sich die Maschinen vernetzten und austauschen können, weil natürlich unterschiedliche Hersteller unterschiedliche Systeme bereitstellen. Dadurch muss der Landwirt letztendlich weniger Zeit vor dem Computer verbringen und kann mehr Zeit auf dem Feld sein.
Was motiviert Dich persönlich Deiner täglichen Arbeit nachzugehen?
Ich bin Landwirtin, daher arbeite ich gerne mit Landwirten zusammen. Auch die Arbeit mit den Maschinen und den Tieren macht mir großen Spaß, aber gleichzeitig möchte ich den Landwirten helfen und ihnen Ratschläge an die Hand geben! Dabei zählen gerade auch die kleinen Momente, wo ich den Landwirten bei scheinbar großen Problemen mit nur wenigen Handgriffen helfen kann und damit viele Stunden Zeit für sie spare. Die Landwirte sind generell auch so dankbar, das macht mir den meisten Spaß.
Wie sieht Deiner Meinung nach, der Alltag von Landwirtinnen und Landwirten in zehn Jahren aus?
Ich denke und hoffe, dass wir nicht komplett aus den Ställen und von den Feldern wegzudenken sind, denn dafür haben wir es ja gelernt. Aber die Roboter und Maschinen werden uns mit Sicherheit immer mehr Arbeit abnehmen, wodurch sich die Arbeit in zehn Jahren auf 50% “Büro“ und 50% “draußen sein“ aufteilen wird. Oder auch mehr Zeit im Büro, aber ich hoffe nicht (lacht)! Ich kann mir aber auch vorstellen, dass wir mehr Zeit im Büro verbringen werden, weil die Digitalisierung auch zunehmend schneller voranschreitet. Alleine, wie das erste Handy aussah und wie schnell es sich in den letzten fünf Jahren entwickelt hat, zeigt, wie rasant das auch in der Landwirtschaft voranschreiten kann.
Wonach sehnt sich die junge Generation von LandwirtInnen und was fordert sie von den Entscheidungsträgern aus der Politik und der Agrarindustrie?
Um es grob auszudrücken, unsere junge Generation sehnt sich einfach nach einer Zukunft der Landwirtschaft. Ich kenne so viele junge Landwirte, die keine Lust haben den Betrieb ihrer Eltern zu übernehmen, weil es zur Zeit total ungewiss ist, was passieren wird. Dementsprechend wünschen wir uns von der Regierung einfach die Sicherheit auch in Zukunft weiter arbeiten zu können, wenn auch mit Einschränkungen, und dadurch unsere Bevölkerung satt bekommen zu können und den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, wenn sie etwas von uns essen. Es möchten wirklich viele Menschen den Beruf Landwirt erlernen, da es ein so spannender, facettenreicher und abwechslungsreicher Beruf ist, weshalb es echt schade wäre, wenn diese Vielfalt verschwinden würde. Auch der Zusammenhalt ist in kaum einer Berufsgruppe so stark, deshalb hoffe ich, dass wir uns auch nicht entmutigen lassen und es schaffen der Regierung klar zu machen, wie System-relevant wir sind.