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05.02.2021

Herdenschutz gegen den Wolf

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DLG MERKBLÄTTER

Themen

Viehhaltung

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DLG-Merkblatt 455

1. Einleitung

Die Rückkehr der Wölfe und die Förderung der Weidetierhaltung

Die Wiederbesiedelung Europas durch steigende Wolfspopulationen und parallel die Förderung der Weidetierhaltung aus Aspekten einer extensiven Landschaftspflege und des Tierwohls erfordern nicht nur gesellschaftliches Umdenken, sondern führen zu einer anspruchsvolleren Weidetierhaltungspraxis, die praktikabel, wirtschaftlich zumutbar und allgemein akzeptabel zu entwickeln ist.
Dabei spielt die sichere Einfriedung der Weidetiere eine entscheidende Rolle. Stand bisher eine ausreichende Hütesicherheit der gehaltenen Weidetiere im Vordergrund des Weidezaunbaus (vgl. „DIN VDE 0131“), ist heute der Schutz der Weidetiere vor dem Eindringen von Wölfen ebenso zu beachten.
Natürliche Prozesse unterliegen einer ständigen Dynamik, deren Folgen nie bis ins Detail zu prognostizieren sind. So entwickeln auch Beutegreifer und Beutetiere stetig neue Strategien, um sich Überlebensvorteile zu sichern. Diese Entwicklungen können dazu führen, dass im Falle eines erhöhten Prädatorendrucks (ggf. möglich durch steigende Wolfspopulationsdichten und höhere Individuenzahlen) auch erweiterte Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Weidetiere zu schützen.

Somit versteht sich der vorliegende Leitfaden als aktuell anerkannter Stand der Wissenschaft und dem daraus resultierenden Stand der Technik unter Beachtung einer praktikablen Umsetzung.

2. Der Elektrozaun

Ein Elektrozaun ist eine psychologische Barriere und setzt immer eine Lernerfahrung durch das Tier voraus. Weidetiere lernen nach kurzer Zeit die Funktionsweise eines Elektrozaunes, da sie permanent vom Zaun umgeben sind. Sie meiden diesen respektvoll. Je nach Tierart ist die Akzeptanz in Bezug auf die Dauer des Erfahrungswertes (bis zum nächstmöglichen Kontakt) verschieden lang.

Der Wolf nähert sich dem Zaun von außen. Bei Tieren, die erstmalig mit einem Elektrozaun in Berührung kommen, ist das Risiko erhöht, dass sie nicht zuverlässig zurückweichen. Entfaltet der erste Stromschlag, den ein Tier am Zaun verspürt die volle Wirkung, bleibt diese stark im Gedächtnis haften. Man spricht von einer negativen Konditionierung. Bleibt diese Wirkung, beispielsweise bei unzureichend installierten Zäunen (mangelhaftes Gerät, mangelnde Leitungsqualität, schlechte Erdung) aus, kann langfristig das Appetenzverhalten (hier: Erbeuten der Weidetiere) stärker sein, als der unangenehme Reiz des Stromschlages. Somit ist auch die Prävention durch funktionsfähige Elektrozäune von höchster Bedeutung.

2.1 Das Eindringen der Wölfe

Ziel des Merkblatts ist es, Empfehlungen zur Errichtung sicherer Einzäunungen von Weidetieren zu geben. Diese sollen wirkungsvoll vor dem Eindringen von Wölfen auf die Weidefläche schützen. Das Überwinden dieser Umfriedungen ist situationsabhängig und kann auf unterschiedlichste Art und Weise erfolgen:

Übersprung

Auch wenn ein Wolf, insbesondere während der Jagd, durchaus zu weiten und auch hohen Sprüngen in der Lage ist, sind aktuell nur wenige Situationen bekannt, in denen der Wolf aus dem Stand einen Zaun überspringt. Eher sind es die Topographie oder andere Hilfsmittel (Holzstapel, hanglagige Schutzhütten, ausgelagerte Silage- oder Strohballen etc.) die das Verhalten des Wolfes unterstützen, eine Zaunanlage zu überspringen. Wie nahezu alle Säugetiere bevorzugen auch Wölfe erhöhte Aussichtsplätze, die sie leicht erklettern können. Von hier aus ist der Absprung in ein Weidetiergatter u. U. ein Leichtes.

Überklettern

Aus Erfahrungen in Gehegen ist belegt, dass Wölfe in der Lage sind, Stabilzäune ohne weiteres zu überklettern. In der Regel geschieht dies während sozialer Konflikte oder unter hormonellem Einfluss während der Ranz (Paarungszeit). In der nebenstehenden Abbildung konnte anhand der Haar-DNA ein wilder Wolf nachgewiesen werden, der einen Wildknotenzaun (h = 128 cm) überwunden hatte. Ob es sich hier um ein echtes Klettern oder eher einen Durchschlupf handelt, ist irrelevant. Aus der Erfahrungen in Gehegen kann jedoch abgeleitet werden: Je stabiler die Umfriedung, bzw. je straffer ein derartiger Zaun gespannt ist, umso leichter kann er von einem Wolf überwunden werden. Dies gilt vor allem dann, wenn nicht weitere Sicherungsmaßnahmen, wie nach oben endende Abweisungsmatten (45° – 90°) und/oder parallele Elektrozaundrähte, getroffen werden.

Durchschlupfen

Steigt ein Wolf durch ein Loch oder eine anders geartete Lücke im Zaun hindurch, wird er zunächst den Kopf, den Hals und eines der beiden Vorderbeine hindurchzustrecken versuchen. Limitierende Größe ist der Brustkorbdurchmesser eines ausgewachsenen und damit die Jagd praktizierenden Wolfes. Aus diesem Grund wird die lichte Weite bis auf Augenhöhe der Wölfe (ca. 60 cm) zwischen Zaunlitzen auf 20 cm festgesetzt.

Untergraben

Durch Beobachtungen aus Gehegen und in freier Wildbahn kann nachgewiesen werden, dass Wölfe bestrebt sind, ihre Grabeaktivitäten unmittelbar vor oder am Hindernis (Zaun) zu entfalten. Dies mag auch von Erfahrungen z. B. beim Höhlenbau herrühren und kann auf veränderte, ggf. sogar erleichterte Bodendichten an derartigen Stellen zurückgeführt werden.

Auch beim Untergraben der Umfriedungen gelten die Körpermaße des Wolfes als Basis für die Sicherung gegen Wolfsübergriffe. Zu beachten ist ferner die meist hohe Elastizität nicht elektrifizierter Zäune, die der Wolf beim Durchschlüpfen ohne weiteres dehnen kann.

Autoren:

–   Frank Faß, Wolfcenter Dörverden
–    Susanne Gäckler, DLG e.V.
–    Günter Herkert, PATURA
–    Hans Kaltenegger, Gallagher
–    Markus Öxle, AKO-Agrartechnik
–    Benno Spilker, horizont group
–    Matthias Voß, SVLFG
–    Eckhard Wiesenthal, Tiergartengestaltung Wiesenthal

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