top of page

06.07.2021

Genomeditierung. Bremsklotz Gentechnikdebatte

Airfarm_logo_official_icon_only.png

DLG MITTEILUNGEN

Themen

Gesellschaft Getreide Normen und Vorschriften Politik

partner4_edited.png

Auch wenn der Europäische Gerichtshof 2018 geurteilt hat, dass genomeditierte Pflanzen als gentechnisch verändert gelten, ist die Diskussion darüber noch lange nicht beendet. Aus verschiedenen Richtungen kommt die Forderung, die Rechtsgrundlagen für diese neuen Züchtungstechniken anzupassen. Thomas Miedaner zeigt, wo wir aktuell stehen.

Die Genomeditierung hat seit ihrer Nutzbarmachung im Jahr 2012 einen einzigartigen Siegeszug angetreten. Bis heute sind rund 1600 Publikationen allein zur Anwendung bei Nutzpflanzen erschienen (Grafik). Und die Flut an Veröffentlichungen geht weiter. Doch was in vielen anderen Forschungsbereichen inzwischen eine Standardtechnik ist, ist für die europäische Pflanzenzüchtung immer noch tabu. Durch das Urteil des Europä­ischen Gerichtshofs (EuGH) von 2018 wurde die Genomeditierung zur Gentechnik erklärt. Damit sind umfangreiche Prüfverfahren, Genehmigungspflichten bereits für erste Feldversuche sowie Kennzeichnungspflichten für die Produkte erforderlich. Bei der nach wie vor weit verbreiteten Skepsis der Bevölkerung gegenüber der Gentechnik bei Lebensmitteln ist damit der praktischen Anwendung der Genomeditierung ein Riegel vorgeschoben.

Warum diese Diskussion? Um diese Frage zu beantworten, muss man etwas tiefer in die Funktionsweise dieses neuen Zuchtverfahrens einsteigen. Die Genom­editierung mit CRISPR/ Cas beruht ursprünglich auf einem antiviralen Abwehrmechanismus von Bakterien. Es besteht aus zwei Komponenten: Einem kurzen Nu­klein­säuren-(RNA)-Abschnitt und dem Enzym Cas. Damit kann man im riesigen Genom einer Pflanze gezielt ein bestimmtes Gen ansteuern, das geändert werden soll. Wenn die RNA punktgenau am Gen angedockt hat, tritt das Cas-Enzym in Aktion, das an der gewünschten Stelle beide DNA-Stränge schneidet. Die Zelle »bemerkt« den Doppelstrangbruch und setzt sofort zelleigene Reparaturmechanismen in Gang. Davon gibt es zwei Kategorien:

  • Bei der gezielten (homologen) Reparatur werden nur passende Enden wieder zusammengeführt. Deshalb kann man sie dazu benutzen, ganze Gene einzufügen. Das Ziel entspricht damit der klassischen Gentechnik. Jetzt kann man aber die Stelle, an der das neue Gen eingebaut werden soll, gezielt aussuchen und benötigt keine Markergene mehr. Damit ist sichergestellt, dass wichtige Bereiche des Genoms nicht gestört werden, die beispielsweise zu we-niger Ertrag führen würden. Trotzdem ist das natürlich uneingeschränkt genehmigungs- und kennzeichnungspflichtig. Andererseits können Forscher auf diesem Weg der Zelle aber auch kurze Korrektursequenzen mitgeben. Dann kopiert die Pflanzenzelle die vorgegebene Mutation in das eigene Genom und es werden nur wenige Basenpaare gezielt verändert.

  • Interessant ist aber auch die Nutzung zufälliger (nicht-homologer) Reparaturmechanismen. Dabei »flickt« die Zelle den entstandenen Doppelstrangbruch der DNA mit einigen wenigen Bausteinen (Basenpaaren), die meist nicht den ursprünglichen entsprechen. So entstehen nach dem Zufallsprinzip neue Genvarianten (Allele). Ob die dann besser sind als die bereits vorhandenen, muss später die Prüfung in Gewächshaus und Feld zeigen. Man kann auf dem Weg aber auch ein Gen gezielt »lahmlegen«, wenn eine für die Genfunktion notwendige DNA-Sequenz gestört wird. Dieses System entspricht durchaus der natürlichen Evolution. Denn solche Punktmutationen, die nur wenige Basenpaare betreffen, kommen auch natürlicherweise häufig vor. Sie sind sogar die Basis der genetischen Vielfalt aller Organismen. Der Pflanzengenetiker Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie hat vorgerechnet, dass auf jedem Hektar Weizen während eines Anbaujahres natürlicherweise durchschnittlich zwei Mutationen an beliebigen Stellen im Genom stattfinden. Deshalb lässt sich bei der Genomeditierung in der Folgegeneration keine gentechnische Veränderung nachweisen, weil in der Natur ständig genau dasselbe passiert. Außerdem werden bei dieser Technik nur zelleigene Reparaturmechanismen genutzt und die verwendeten RNA-Sequenzen sowie das Cas-Enzym nach vollbrachter Arbeit in der Zelle abgebaut. Wird eine Korrektursequenz mitgegeben, so kann man in der Folgegeneration Nachkommen heraussuchen, die diese nicht mehr besitzen. Außerdem stammen die verwendeten Korrektursequenzen in der Regel aus derselben Pflanzenart, sodass im Gegensatz zur klassischen Gentechnik keine fremden Gene eingeführt werden.

    Neue Züchtungsmethoden wie CRISPR/ Cas können zum Teil jahrzehntelange Kreuzungs- und Selektionsarbeit sparen. Foto: Rutt

Im deutschen Gentechnikgesetz von 1990 ist ein GVO definiert als »ein Organismus, dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt«. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Kritiker und Befürworter haben in den vergangenen Jahren darum gestritten, wie das geltende Recht auszulegen ist. Sollte der gesamte Prozess der Züchtung einer Genehmigung unterstellt werden, oder bezieht sich die Definition eines GVO allein auf das erzeugte Produkt? Die Richter des EuGH haben bei dem Urteil 2018 argumentiert, dass ihrer Ansicht nach durch Mutageneseverfahren eine »auf natürliche Weise nicht mögliche Veränderung am genetischen Material eines Organismus« vorgenommen wird. Dem Vorsorgeprinzip folgend, seien sie daher dem Gentechnikrecht zu unterstellen.

Viele Wissenschaftler sehen das jedoch ganz anders. Wie bereits beschrieben sind der Großteil der durch Genomeditierung erzeugten Veränderungen im Erbgut von natürlichen Mutationen oder dem Ergebnis einer besonders »glücklichen Kreuzung« nicht zu unterscheiden.

Neue Diskussionen. Mit dem Green Deal der EU bzw. der Farm-to-Fork-Strategie sowie der deutschen Ackerbaustra­tegie nimmt die Diskussion über die Gleichsetzung von Gentechnik und der Genomeditierung wieder an Fahrt auf. Denn mit dem Ziel einer nachhaltig intensivierten Landwirtschaft müssen wir uns ernsthaft fragen, ob wir auf die vielversprechenden Möglichkeiten dieser Technologien verzichten können.

Wie handhaben es andere Länder? Weltweit hat die EU derzeit aufgrund des EuGH-Urteils die strengsten Gesetze für die Genomeditierung. Japan, Australien, Kanada, die USA, Brasilien, Chile und Argentinien haben einen anderen Weg eingeschlagen, der sich am Beispiel der USA schön aufzeigen lässt. Auch dort müssen genomeditierte Pflanzen beim Landwirtschaftsministerium (USDA) angemeldet werden. Im Rahmen der neuen SECURE-Richtlinie (2020) wird eine genomeditierte Pflanze aber nicht als gentechnisch verändert eingestuft, wenn

  • ein gezielter Austausch von Einzelbasen stattfand,

  • die Änderung durch zelleigene Reparatur eines gezielten DNA-Bruchs entsteht und keine Reparatur-DNA enthält oder

  • die Einführung eines arteigenen Gens oder eine gezielte Änderung in einer Sequenz stattfand, die einem bekannten Allel im Genpool der Pflanze oder einer bekannten strukturellen Variation entspricht.

Die Behörden lassen sich dabei von dem Grundsatz leiten, dass für neue Pflanzen keine Genehmigung nötig ist, wenn sie auch durch konventionelle Züchtung entstanden sein könnten bzw. keine Veränderung im Produkt nachweisbar ist.

Eine ähnliche Regelung haben auch die deutschen Wissenschaftsorganisationen vorgeschlagen. Dazu müsste aber das Gentechnikgesetz Deutschlands bzw. der EU geändert werden. Diese wurden schon 1990 bzw. 2001 beschlossen, als es die Genomeditierung noch gar nicht gab. Kritiker verlangen dagegen, jeglichen Eingriff in den Zellkern als Gentechnik einzustufen. Diesbezüglich besteht jedoch das Problem, dass die Genomeditierung mit ihren geringen Veränderungen nicht mehr im Endprodukt als »menschengemacht« nachweisbar ist. Mit einer Ende April veröffentlichten Studie, die die Mitgliedsstaaten eingefordert hatten, hat die EU-Kommission jetzt Stellung bezogen. Darin kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die neuen Züchtungsmethoden zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung beitragen können. Daher müsse das aktuelle EU-Gentechnikrecht an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt der letzten Jahre angepasst werden. In den kommenden Monaten will die Kommission im Rahmen einer breit angelegten öffentlichen Konsultation verschiedene Reformoptionen diskutieren und die nächsten Schritte mit den EU-Institutionen und Interessenvertretern erörtern.

In einer Ende April veröffentlichten Studie kommt die EU-Kommission zu dem Schluss, dass das bestehende EU-Gentechnikrecht nicht geeignet ist, um die neuen Zuchtverfahren rund um CRISPR/ Cas angemessen zu regulieren. Ein entscheidender Impuls für die Überarbeitung des Genetechnikgesetzes. Foto: Aintschie – stock.adobe.com

Welche Risiken gibt es? Nach Ansicht vieler Naturwissenschaftler, die CRISPR/Cas bereits in ihren Laboren anwenden, keine. Zum Teil findet man sogenannte »Off-targets«, also Genveränderungen an Stellen, die nicht beabsichtigt waren. Das hängt damit zusammen, dass die RNA-Sequenzen auch dann andocken können, wenn keine vollständige Übereinstimmung besteht. Durch feine Veränderungen der Technik und der verbesserten CRISPR/Cas-Variante »Prime Editing« treten solche Off-target-Effekte aber inzwischen deutlich seltener bis gar nicht mehr auf.

Außerdem müssen auch die genomeditierten Pflanzen intensiv in Gewächshaus- und Feldversuchen geprüft werden. Und alles, was nachteilig aussieht, fliegt raus. Genau wie in der konventionellen Züchtung, bei der in jeder Generation 90 bis 95 % aller Genotypen verworfen werden. Darüber hinaus müssen auch genomeditierte Sorten die strengen Zulassungsprüfungen des Bundessortenamtes bestehen.

Grundsätzlich ist Gentechnik auch bei uns in vielen Lebensbereichen bereits allgegenwärtig. Das beginnt mit dem konventionellen Tierfutter, das in der Regel gentechnisch-veränderte Soja aus Brasilien enthält. So sind in der EU derzeit 78 verschiedene gentechnisch erzeugte Linien für den Import von landwirtschaftlichen Produkten zugelassen. Zudem werden eine Vielzahl an Aromen, Vitaminen, Süßstoffen, Geschmacksverstärkern und Enzymen, die wir täglich in verarbeiteten Lebensmitteln zu uns nehmen, heute mit gentechnisch-veränderten Bakterien produziert. Darüber hinaus sind bereits Hunderte von Arzneimitteln mit gentechnisch hergestellten Inhaltsstoffen zugelassen. Und nicht zuletzt hat die Impfstofferzeugung gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 mit der mRNA-Technik unterstrichen, dass es gerade mithilfe dieser Technologie schnell, effizient und äußerst zuverlässig geht.

Auch in der deutschen Pflanzenzüchtung fänden sich viele interessante Anwendungsgebiete. Die neue Studie der EU-Kommission könnte daher ein entscheidender Anstoß für die Anpassung der aktuellen Rechtslage und somit einer praktischen Nutzung auch in Europa sein.

Prof. Dr. Thomas Miedaner, Universität Hohenheim

Dieser Beitrag ist erschienen im Sonderheft Weizenzüchtung und ist auch zu finden unter dlg-mitteilungen.de Entdecken Sie Innovationen, Trends, Geschäftsideen und vieles mehr. Unser Blog steht für Meinung und Diskussion, für Wissenswertes und Interessantes. Wir liefern Fakten und Argumente. Viel Spaß beim Stöbern!

bottom of page