top of page

03.09.2020

Genetisch hornlose Rinder – eine Alternative zum Enthornen

Airfarm_logo_official_icon_only.png

ÖKOLANDBAU.DE - DAS INFORMATIONSPORTAL

Themen

Allgemein Politik

partner4_edited.png

Idealerweise sollte die ökologische Milchviehhaltung in Stallsystemen erfolgen, die für behornte Kühe geeignet sind. Also großzügig bemessene Laufställe, in denen die Tiere untereinander ungehindert ausweichen können. Doch nur wenige Betriebe haben derart großzügige Ställe. Das Halten hornloser Tiere ist daher für viele Ökobetriebe ein notwendiger Kompromiss.

Üblicherweise wird den Kälbern in den ersten Wochen nach der Geburt mit einem Brenneisen die Hornanlage ausgebrannt. Auch in etwa 70 Prozent der rinderhaltenden Ökobetriebe wird diese Form der Enthornung praktiziert. Ökohalterinnen und -halter müssen dafür jedoch einen Antrag bei der Kontrollbehörde stellen und die Tiere vor dem Eingriff durch einen Tierarzt lokal betäuben lassen. In der konventionellen Haltung reicht es dagegen aus, wenn die Landwirtin oder der Landwirt dem Kalb vor dem Eingriff ein Beruhigungs- und Schmerzmittel verabreicht.

Trotz Betäubung und Schmerzmittelgabe ist dieser Eingriff für das Tier unangenehm. Außerdem entstehen dem Betrieb dadurch Arbeit und Kosten. Immer mehr Biorinderhalterinnen und -halter denken daher darüber nach, genetisch hornlose Tiere in ihre Herde einzukreuzen.

Hornlosigkeit lässt sich vererben

Natürliche Hornlosigkeit ist bei Rindern im Allgemeinen zwar selten, aber nichts Ungewöhnliches. Rassen wie Angus oder Galloway sind beispielsweise genetisch komplett hornlos, das heißt kein Tier dieser Rassen wird mit Hörnern geboren. Auch bei typischerweise behornten Rinderrassen, kommt es durch genetische Mutationen immer wieder dazu, dass Tiere mit fehlenden oder nur unzureichend ausgebildeten Hörnern geboren werden. Noch vor 80 Jahren war die Weiterzucht solcher Tiere für die Landwirtschaft kaum von Interesse. Denn die Tiere wurden damals nicht nur für die Milch- und Fleischversorgung genutzt, sondern auch als Zugtiere, und an dem Horn ließ sich das Joch gut befestigen. Als Rinder dann ab Mitte des letzten Jahrhunderts als Zugtiere nicht mehr benötigt wurden, schenkte man auch der züchterischen Weiterentwicklung von hornlosen Tieren mehr Beachtung.

Hornlos-Bullen immer gefragter

Erste ernstzunehmende Bemühungen einer gezielten Hornloszucht gab es in der Zucht von hornlosen Fleckviehbullen ab den 1970er Jahren, allerdings vorwiegend für die Fleischrinderhaltung. "Seit etwa 2006 nimmt auch die Nachfrage nach hornlosen Besamungsbullen bei den Michvieh- und Zweinutzungsrassen, insbesondere Fleckvieh und Holstein erkennbar zu", sagt Carsten Scheper, Wissenschaftler am Institut für Tierzucht und Haustiergenetik der Justus-Liebig-Universität Gießen. "Einen regelrechten Boom erfuhr die Besamung der Kühe mit genetisch hornlosen Bullen etwa ab 2010, als das Enthornen der Tiere stärker in den Fokus der Tierschutzdebatte rückte." Mit der Verschärfung der Enthornungsauflagen im Jahr 2015 – seitdem müssen in der konventionellen Haltung Beruhigungs- und Schmerzmitteln verwendet werden –, ist die Nachfrage nach Hornlos-Bullen dann noch einmal gestiegen: Laut Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung (VIT) lag der Anteil an Besamungen mit Hornlos-Bullen im Jahr 2017 bei der Rasse Holstein Schwarzbunt bereits bei 10 Prozent, bei Holstein Rotbunt sogar bei 34 Prozent. Scheper geht davon aus, dass der Anteil an Hornlosbesamungen im Ökobereich aufgrund der höheren Anforderungen an das Enthornen noch höher liegt als im konventionellen Bereich.

Auch im Ökolandbau ist das Halten hornloser Kühe fast schon Standard. Quelle: Pixabay / Kapa65

Kritik an der Hornloszucht

Doch auch wenn zahlreiche Biobetriebe inzwischen auf Hornlos-Bullen zurückgreifen. Die Hornloszucht ist in der ökologischen Landwirtschaft nicht ohne Kritik. Einige Bioverbände – darunter besonders der Demeter-Verband, dessen Richtlinie das Halten behornter Rinder vorschreibt – befürchten, dass es durch die Verengung auf hornlose Vererber, zum Beispiel in der Rasse Holstein, mittel- bis langfristig zu einem Problem werden könnte, behornte Tiere zu züchten. „Hornlosigkeit vererbt sich dominant,“ sagt Scheper. „Das heißt, die Vererbung der Hornlosigkeit von lediglich einem Elternteil auf den Nachkommen reicht aus, damit dieser phänotypisch hornlos geboren wird. Dies mache eine relativ schnelle Etablierung der Hornlosigkeit in den Herden und Zuchtprogrammen möglich.

Kritische Ökolandwirtinnen und -landwirte und -verbände geben außerdem zu bedenken, dass das Horn der Kuh schon deswegen nicht entfernt werden dürfe, weil es zahlreiche Funktionen erfüllt. So hat das Horn eine wesentliche Bedeutung für die Körpersprache der Tiere und damit für die Herdenhierarchie. Und auch zur Körperpflege werden die Hörner genutzt. Zudem gelten in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft die Hörner neben dem Verdauungstrakt als wichtigstes Organ der Kuh. Nach Meinung von Demeter hat das Horn demnach auch Einfluss auf die Qualität der Milch.

Laufstallhaltung geht auch mit Hörnern

Dass auch eine erfolgreiche Haltung horntragender Milchkühe im Laufstall möglich ist, zeigen zahlreiche ökologische Praxisbetriebe. Entscheidend für eine funktionierende, horntragende Herde sind ein großzügiges Platzangebot und genügend Ausweichmöglichkeiten im Stall. Konkurrenzsituationen werden sehr gut dadurch vermieden, dass genügend Fressplätze (mindestens ein Platz pro Tier) und Tränken verfügbar sind. Sehr wichtig ist auch eine gute Mensch-Tier-Beziehung: Ein Tierhalter, der behornte Kühe im Laufstall hält, muss seine Tiere sehr gut kennen und einschätzen können, damit er auf individuelle Probleme reagieren kann. Ein Merkblatt des FiBL fasst die Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Beobachtung horntragender Kühe in Laufställen und Erfahrungen aus der Praxis zusammen und bietet konkrete Empfehlungen für Stallbau und Management: Laufställe für horntragende Milchkühe.

Quelle: www.oekolandbau.de  / Copyright BLE

bottom of page