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26.03.2020

Corona-Krise und die Auswirkungen auf die Agrarbranche in Deutschland

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CORONA: COVID - 19

Themen

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CENTUROS / Sven Peters / 26. März 2020

Aktuelle Lage & Herausforderungen

Nachdem die Agrarbranche in den vergangen drei Jahren unter einerseits extremer Trockenheit und andererseits extremen Regengüssen gelitten hatte, zeichnen sich nun weitere erhebliche negative Auswirkungen durch die aktuelle Covid-19-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen auf die deutsche Agrarbranche ab.

Das Bundesinnenministerium hat ein Einreiseverbot für Saisonarbeiter ab Mittwoch den 25.03.2020 17.00Uhr angeordnet, um die Ausbreitung des Corona-Virus weiter zu bremsen. Diese Regelung gilt für Einreisen aus Großbritannien, Drittstaaten, Staaten zu denen Binnengrenzkontrollen vorrübergehend wiedereingeführt wurden sowie für EU-Staaten, die den Schengen-Besitzstand nicht voll anwenden, wie z.B. Rumänien und Bulgarien. Polen stellt momentan nach Angabe der Arbeitgeberverbände die einzige Ausnahme dar, da hier Personen, die über die polnische Grenze einreisen, noch nicht erfasst werden. Ob und unter welchen Voraussetzungen dies weiter möglich ist, muss noch geklärt werden. Rund 300.000 Saisonarbeitskräfte sind laut dem Deutschen Bauernverband in Deutschland tätig. Das Einreiseverbot trifft die landwirtschaftlichen Betriebe hart, da rund 30% der Arbeitskräfte im Agrarsektor aus Saisonarbeitskräften besteht. Insbesondere Obst-, Gemüse-, und Weinbaubetriebe sind unumgänglich auf Saisonarbeitskräfte angewiesen. Ein Hauptaugenmerk hierbei liegt bei der bereits angefangenen Spargelernte und der anstehenden Erdbeerenernte. Die Ernte und Frühjahrsaussaat von Getreide und Ölsaaten sind von Saisonarbeitskräften weniger stark abhängig, da die meisten Prozesse automatisiert und maschinell ablaufen. Aus der Not wurden innovative Plattenformen wie www.erntehelfer.net ins Leben gerufen, um möglichst viele der fehlenden Saisonarbeitskräfte zu ersetzen. Laut der aktuellen Zahlen wird es wohl schwer, dies zu erreichen, da nach Angaben von der Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner sich bisher nur rd. 16.000 Interessenten gemeldet haben, um in der Landwirtschaft mitzuhelfen.

Die weiteren durch die Regierung beschlossenen Maßnahmen, wie das bestehende Kontaktverbot, die Einschränkungen zur Versammlungsfreiheit oder die Zwangsschließung bestimmter Geschäfte und Betriebe, führen zu einem signifikanten Rückgang in der Gemeinschaftsverpflegung, in der Gastronomie und Hotellerie. Weiterhin bestehen Unsicherheiten im Umgang mit China sowie den anderen durch die Pandemie stark betroffenen Staaten und den damit verbundenen Export- und Importkanälen. Die Ausbreitung des Coronavirus äußert sich bereits seit Längerem in rückläufigen Terminmarktnotierungen bei weltweit gehandelten Ölsaaten und Getreide. Dieser Effekt wurde zudem durch die deutlich niedrigeren Rohölnotierungen bei Raps intensiviert. Erzeugerpreise haben durch die niedrigeren Notierungen ebenfalls Einbußen erlitten. In den vergangenen Tagen gab es jedoch auch einen deutlichen Anstieg der Verbrauchernachfrage nach Produkten wie Mehl, Brot und Pasta was kurzfristig positive Auswirkungen auf die Verarbeitungsindustrie und deren Nachfrage nach Rohstoffen hat.

Aufgrund der Verunsicherung durch das Coronavirus ist die Vermarktung der Ernte 2020 in den Hintergrund geraten. Landwirte konzentrieren sich derzeit auf die Frühjahrarbeiten, wie z.B. Aussaat von Sommergetreide, Maislegen, Zuckerrüben und Auspflanzung von Kartoffeln. Das Saat- und Pflanzgut für wichtige Frühjahrskulturen wie Mais, Kartoffeln & Zuckerrüben wird durch die Landwirte in der Regel weit vor Beginn der Frühjahrsausaat eingekauft und eingelagert. Das Gleiche gilt für Dünge- und Pflanzenschutzmittel, da diese Betriebsmittel aufgrund ihrer Lagerfähigkeit nicht auf Just-in-Time-Lieferungen ausgelegt sind und daher durch Verzögerungen im Transport wenig verwundbar sind.

Das Coronavirus beeinflusst auch die Nachfrage nach Milch, Sahne, Quark, Joghurt, Butter und Schnittkäse. Gerade Produkte mit hoher Lagerfähigkeit sind gefragt. Die rückläufige Nachfrage aus der Gastronomie und Hotellerie wird durch diese Entwicklung teilweise kompensiert, was eine logistische Herausforderung für viele Molkereien darstellt. Das Logistikproblem spiegelt sich ebenso in der Personalknappheit, insbesondere bei LKW-Fahrern wider. Trotz des freien Warenverkehrs im EU-Binnenmarkt kommt es an deutschen und anderen internationalen Grenzen zu erheblichen Verzögerungen aufgrund von Grenzkontrollen. Italien ist ein wichtiger Abnehmer deutscher Rohmilch, hat jedoch die Milchverarbeitung teilweise eingestellt oder deutlich reduziert. Die nun nicht verarbeiteten Rohstoffe belasten infolgedessen insbesondere die Spotmärkte.

Eine aktuell erhöhte Nachfrage verzeichnet der inländische Fleischabsatz. Die Verarbeitungsbranche sowie der Lebensmitteleinzelhandel signalisieren eine starke Nachfrage nach Frischfleisch und Verarbeitungsfleisch für die Wurstindustrie. Allerdings ist anzunehmen, dass es sich hierbei um einen kurzfristigen Effekt handelt, der sich mindert oder umkehrt, sobald die deutschen Haushalte mit einem Sicherheitsvorrat aufgefüllt sind und die Nachfrage somit wieder sinkt. Die Nachfrage nach Schlachtschweinen hat entgegen diesem Trend abgenommen, weshalb Mastbetriebe den Verkauf von Schlachtschweinen forciert haben. Die VEZG Preisempfehlung ist im Rahmen dieses Vorgehens um rd. 7 Cent auf 1,89 Euro pro Kilogramm zurückgegangen. Die Verunsicherung bezüglich weiterer Absatzmöglichkeiten und der damit einhergehenden Risiken für die Betriebe wird als zu groß angenommen. Beim Handel mit Schlachtrindern herrscht ebenfalls eine deutlich wahrzunehmende Verunsicherung, da die Warenströme von Rindfleisch aus Deutschland nach Italien, Spanien und Frankreich stocken und so Druck auf die Preisstabilität ausgeübt wird. In der gesamten Schlacht- und Verarbeitungsindustrie besteht zudem die Sorge, dass aufgrund des vom Bundesinnenministerium erteilten Einreiseverbots für Saisonarbeiter Arbeitskräfte aus anderen EU-Mitgliedstaaten nicht wie gewohnt verfügbar sind.  Des Weiteren sind durch die Unternehmen Risikoabsicherungen gegen einen Ausfall von Arbeitskräften, Betriebsleitern oder sonstigem Personal aufgrund potenzieller 14-tägiger (häuslicher) Quarantäne durchzuführen, die eine Absicherung des operativen Betriebs, insbesondere bei Tierhaltungsbetrieb sicherstellt.

Große Unsicherheiten aufgrund der Corona-Krise herrscht aktuell ebenso bei den Obst- und Gemüseerzeugern. Hier ist eine umfassende Verlagerung der Versorgung hin zum Lebensmitteleinzelhandel und weg von Restaurants und Kantinen zu beobachten. Grundsätzliche Unsicherheit herrscht bei den heimischen Betrieben aufgrund von fehlenden Saisonarbeitskräften, insbesondere aus Rumänien und Polen. Dies führt zu Problematiken bei den derzeit laufenden bzw. anstehenden Ernten wie Salate, Kohl, Spargel, Rhabarber und Erdbeeren sowie anderen Frühgemüse- und Frühobstsorten. Je länger die Einreise von Saisonarbeitskräften stagniert, desto größer werden die Auswirkungen auf die heimische Versorgung sein.

Zur Bekämpfung dieser Problematiken und zum Erhalt der bestehenden Agrarindustrie wurden von der Bundesregierung die folgenden Maßnahmen und Beschlüsse festgelegt:

  • Die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft wurde von der Bundesregierung als systemrelevant anerkannt. Dies bedeutet, dass hinsichtlich der Quarantänemaßnahmen und/oder Betriebsschließungen unter Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes die Infrastruktur der Betriebe der Land- und Ernährungswirtschaft aufrecht erhalten bleibt.

  • Die 70-Tage-Regelung für Saisonarbeit wurde auf 115 Tage aufgestockt. Dies bedeutet, dass Saisonarbeitskräfte sozialversicherungsfrei bis zu 115 Tage in Deutschland einer kurzfristigen Beschäftigung nachgehen dürfen. Dies gilt auch für Saisonarbeitskräfte, die bereits in Deutschland bei der Frühjahrsbestellung und -Ernte helfen. Hierbei gilt das Kriterium der Berufsmäßigkeit für die Saisonarbeitskräfte in der Ladwirtschaft weiterhin.

  • Eine Arbeitnehmerüberlassung ist in der Corona-Krise ohne Erlaubnis möglich. Diese Regelung ist essenziell, um agil auf die aktuelle Krise und den damit verbundenen Personalverschiebungen zwischen unterschiedlichen Wirtschaftszweigen reagieren zu können.

  • Saisonbeschäftigung wird nicht auf das Kurzzeitarbeitergeld angerechnet. Einkommen aus Nebenbeschäftigungen werden vorerst bis zum 31.10.2020 bis zur maximalen Höhe des Nettolohns aus dem eigentlichen Beschäftigungsverhältnis nicht auf das Kurzzeitarbeitergeld angerechnet. Dies soll vor allem den finanziellen Anreiz zur Aufnahme einer Nebenbeschäftigung als Saisonarbeitskraft erhöhen.

  • Für Vorruheständler wurde die Hinzuverdienstgrenze angepasst. In der Alterssicherung der Landwirte wird die Hinzuverdienstgrenze sogar vollständig aufgehoben und bei Vorruheständler wird die Grenze in der gesetzlichen Rentenversicherung deutlich angehoben. Diese Änderung gilt für das Jahr 2020 und soll weitere Anreize für eine vorrübergehende Beschäftigung in der Landwirtschaft schaffen.

  • Die Arbeitszeitvorgaben wurden ausgeweitet. Das Arbeitsgesetz hatte bisher eine Arbeitszeit-Ausnahmeregelungen von (10 Stunden / 6-Tage Woche) vorgesehen, was in normalen Jahren bereits ein kritisches Limit innerhalb der Ernte- und Aussaatzeit darstellte.

  • Kündigungsschutz für Pachten. Landwirte, die aufgrund der Corona-Krise Ihre Pachten nicht bedienen können, darf bis 30.06.2020 nicht einseitig gekündigt werden. Dies soll den Bestand der vorliegenden Infrastruktur dienen und einen rechtlichen Schutzschirm über die Pächter legen.

(c) CENTUROS / Sven Peters / 26. März 2020

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